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Das Europa von morgen
Vortrag von Botschafter Dr.
Christian Prosl vor der Österreichisch –deutschen Kulturgesellschaft am 22. November 2006
Zunächst erlaube
ich mir, darauf hinzuweisen, daß ich meine folgenden Ausführungen als
persönliche Gedanken und Überlegungen eines europäischen Bürgers
österreichischer Nationalität verstanden wissen möchte, und diese nicht die
offizielle Meinung des Außenamts wiedergeben.
Einleitung
In seiner 1994
erschienenen Schrift „Das alte Europa und die Welt der Moderne“ schreibt der
Historiker der Sorbonne Jacques Le Goff: „Europa ist Vergangenheit und Zukunft
zugleich. Seinen Namen hat es vor zweieinhalb Jahrtausenden erhalten, und
gleichwohl befindet es sich im Zustand des Entwurfes.“
Wer über das Europa
von morgen nachdenkt, muß wissen, woher das Europa von heute kommt. Wir
brauchen das Wissen um die Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen und die
Zukunft gestalten zu können. Denn die Einigung Europas, die wir heute in
beträchtlichem Maße erreicht haben, war die Antwort auf eine Frage, die sich
offenbar für viele seiner Bürgerinnen und Bürger nicht mehr stellt. Denn die
Versöhnung ist gelungen, und der Friede in Europa ist gesichert.
Das Europa von
gestern
Die Europäische
Union ist nicht in erster Linie eine Behörde, oder ein Markt, sie ist ein politisches
Konzept, eine Idee, die als Antwort auf geschichtliche Erfahrungen umgesetzt
wurde.
Ein vereintes
Europa war Jahrhunderte lang eine Utopie, die sich seit dem Mittelalter wie ein
roter Faden durch die Ideengeschichte zieht. Alle Verfechter dieser Utopie
teilen die Überzeugung, daß der Frieden der Lohn für die Mühen ihrer
Verwirklichung sein wird. Erst im 20. Jahrhundert, vor dem Hintergrund der
beiden Weltkriege, gelangt dieses Idee zur politischen Wirklichkeit.
Von den frühen
Konzepten bildete im Mittelalter vor allem die vom antiken römischen Weltreich
transferierte Kaiseridee im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches ein Band
europäischer Gemeinsamkeit: Dante Alighieri (1265-1321) sieht im 14.
Jahrhundert in seiner „Monarchia“ eine europäische Monarchie als
wünschenswert, als eine höhere Macht, die Stabilität und Frieden garantieren
würde.
Im 17. Jahrhundert
sieht Thomas Hobbes (1588-1679) im Europa der souveränen Staaten den Krieg
als den natürlichen Zustand. Er meint, im Innern der Staaten den Kampf
aller gegen alle durch die Zähmung der menschlichen Wolfsnatur und die
drakonische Macht des Leviathan-Staates bändigen zu können. Aber zur
Überwindung der äußeren Kriege sieht Hobbes, der wohl realistischeste
unter den damaligen politischen Denkern, keinen gangbaren Weg.
William Penn
(Gründer von Pennsylvania und Philadelphia, seine Ideen waren Vorbild für
die Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776) schreibt 1693 einen&xnbsp; „Essay zum gegenwärtigen und zukünftigen
Frieden von Europa durch Schaffung eines europäischen Reichstages, Parlaments
oder Staatenhauses“. Das klingt doch ganz modern! Er schlägt sogar die
Anzahl der Sitze vor, die jedem Land in diesem Reichstag zustünden: Deutsches
Reich 12, Frankreich 10, Spanien 10, Italien 8, England 6, Portugal 3, Schweden
4, etc. Beschlüsse werden mit Dreiviertelmehrheit (=qualifizierte Mehrheit!)
gefasst, oder mit mindestens 7 Stimmen über der Hälfte. Die Arbeitssprache soll
Latein oder Französisch sein.
Für den französischen
Politologen Abbé de Saint-Pierre ist ebenfalls der Krieg der Normalzustand
zwischen den Herrschern der damaligen Zeit. Verträge bedeuten in Wirklichkeit
nur eine vorübergehende und teilweise Waffenruhe. Unter dem Eindruck der
Friedensverhandlungen von Utrecht 1712 entwickelt er einen Plan eines ewigen
Friedens als „Bund unter christlichen Herrschern“.&xnbsp; Die Zyniker verspotten sein System, denn die
Herrscher würden bloß eifersüchtig ihre Macht verteidigen und wenig geneigt
sein, zugunsten einer vagen Vorstellung von einem europäischen Bundestag auf
sie zu verzichten!
Immanuel Kant schlägt 1795 in
seinem „Traktat vom Ewigen Frieden“ einen Völkerbund, einen
„Staatenkongress“, als ein System der geregelten Balance zwischen verschiedenen
Herrschaftsansprüchen vor.
1814 schreibt der
französische Philosoph und Soziologe Claude Henri de Saint-Simon ein
Werk mit dem langatmigen Titel &xnbsp;„Über
die Reorganisation der europäischen Gesellschaft oder über die Notwendigkeit
und die Mittel, die Völker Europas unter Wahrung ihrer nationalen
Unabhängigkeit in einer einzigen Körperschaft zu vereinigen.“ Sein Ziel
ist die Neuorganisation der europäischen Gesellschaft:&xnbsp; „Mit der europäischen Regierung ist es
wie mit den nationalen Regierungen bestellt. Es kann keine Aktion ohne einen
allen Mitgliedern gemeinsamen Willen geben. Nun entsteht dieser
Gemeinschaftswille ... nur aus einer größeren Allgemeinheit der Ansichten, aus
einem umfassenderen Ziel, das man europäischen Patriotismus nennen kann...“
Saint-Simon schlägt
eine parlamentarisch geführte Föderation vor, in der ein „Großes Parlament
Europas“ eine besondere Rolle spielt.
1930 tritt der
Österreicher Richard Coudenhove-Kalergi mit seinem „Entwurf für einen
Paneuropäischen Pakt“ für einen Europäischen Staatenbund ein: der
bedingungslose Beitritt steht allen Staaten offen, deren Staatsgebiet
(allerdings ohne Kolonien!) ganz oder größtenteils in Europa liegt. Im selben
Jahr schreibt der franz. Außenminister Aristide Briand sein „Memorandum über
die Organisation einer europäischen Bundesverfassung“ und sieht eine&xnbsp; Europäische Konferenz, einen Ständigen
Politischen Ausschuß und ein&xnbsp;
permanentes Sekretariat vor.
1940 ist das Jahr
der britischen Vorschläge: Ronald W.G. Mackay entwickelt in seinem Werk „Das
föderale Europa“ einen detaillierten Entwurf für eine „Verfassung der
Vereinigten Staaten von Europa“ mit dem Ziel der Einbeziehung Großbritanniens. William
Ivor Jennings präsentiert in seiner Schrift „Eine Föderation für
Westeuropa“ ebenfalls einen Verfassungsentwurf für Europa.
Interessant ist
auch der von dem in der Zwischenkriegszeit äußerst&xnbsp; renommierten deutschen Journalisten Emil
Ludwig ebenfalls 1940 vorgelegte Verfassungsentwurf „Die
Vereinigten Staaten Europas“. Er schlägt&xnbsp;
einen Staatenzusammenschluß vor, dessen Gewalt sich nicht über die
Bürger, sondern über die Länder ausdehnt. Jeder Staat behält seine
Souveränität. Er sieht zwei Kammern vor, die in öffentlichen Sitzungen tagen.
Ein sogenannter „Unions-Rat“ bestehend aus 7 Beratern repräsentiert die Exekutive.
Die hohen Beamten Europas werden nicht nach ihrer Nationalität, sondern nach
ihren Fähigkeiten ausgewählt. Kommt Ihnen das nicht irgendwie bekannt vor?
Erwähnenswert
erscheint schließlich die bekannte Zürcher Rede von Winston Churchill im
Jahre 1946, in der er eine Art Vereinigte Staaten von Europa (allerdings ohne
Großbritannien!) vorschlägt.
Gewaltsame Versuche
des Zusammenschlusses
Wenn auch die
zahlreichen genannten Entwürfe für ein europäisches Staatensystem (es gibt
derer noch viel mehr, ich habe nur die wichtigsten erwähnt)&xnbsp; in der realen Politik keine
praktische Bedeutung erlangt haben, so ist doch die Jahrhunderte alte, immer
wiederkehrende Idee, mit Hilfe von Verträgen ein integriertes Europa zu
schaffen, bemerkenswert und für die Würdigung des nunmehr Erreichten wichtig.
Neben diesen Plänen
zur friedlichen Vereinigung des Kontinents, und oft zeitgleich mit
diesen, hat es aber auch unzählige Versuche gegeben, einen europäischen
Zusammenschluß der Staaten&xnbsp; mit Gewalt
durchzusetzen.
Karl der Große
weitete das Fränkische Reich bekanntlich nicht nur mit christlicher
Nächstenliebe aus.
Karl V. befand sich
während des weitaus größten Teiles seiner vierzigjährigen Herrschaft im
Kriegszustand! Auf der Basis seiner universellen Kaiseridee und damit eines vor-staatlichen
Konzepts versuchte er, die auseinander strebenden europäischen nationes und
Herrschaften zu ordnen. Gleichwohl scheiterte er letztlich an der Überlegenheit
der partikularen Kräfte in Deutschland und Europa. Wie wir wissen, schreckte
sein Gegenspieler, der sehr kath. König Franz I. von Frankreich, bei der
Auseinandersetzung um das Reich auch vor einem Bündnis mit&xnbsp; dem osmanischen Sultan Süleyman I. nicht
zurück.
&xnbsp;
Aber auch im
Dreißigjährigen Krieg, der die Bevölkerung Europas auf ein Drittel reduzierte,
ging es nicht zuletzt um die Vorherrschaft in Europa.
&xnbsp;
Später schickte
Napoleon seine z.T. zwangsrekrutierten Truppen nach militärischen Siegen über
Österreich und Preußen bis nach Moskau. Seinen&xnbsp;
Griff nach der Krone des Reiches konnte Franz II. nur durch Auflösung
desselben im Jahre 1806 verhindern. Damit war das Ende der bisherigen
alteuropäischen Rechts- und Herrschaftsordnung besiegelt. Einige Tage zuvor
hatten 16 ehemalige Reichsmitglieder bereits ihren Austritt aus dem Reich
erklärt. An Stelle des Sacrum Romanum Imperium trat das Prinzip des modernen
Nationalstaates seinen Siegeszug in Europa an. Der weltliche Fürstenstaat
und in der Folge der Nationalstaat triumphierte auf Kosten der
vormodernen europäischen Einheit, welche das Alte Reich bis 1806 – ein gutes
Jahrtausend lang&xnbsp; - dargestellt hatte.
&xnbsp;
Die Folgen des
Überganges „von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität“, um
Grillparzer zu zitieren, sind bekannt: blutige und gewaltsame Bruderkriege im
19. und 20. Jahrhundert, die in das bisher nie da gewesene Inferno des Zweiten
Weltkrieges und in den Untergang und die weitgehende Verwüstung Europas
mündeten.
&xnbsp;
Heute wissen wir,
daß sich Europa dauerhaft nur aus freiem Willen, d.h. im Frieden, und
aus der Sehnsucht nach Frieden vereinen kann. Tinte ist langfristig
beständiger als Blut. Zwangsvereinigung ist immer von Zerfall bedroht.
Europa scheint aus
seiner Geschichte gelernt zu haben, denn die Europäische Union ist aus den
bitteren Auswüchsen des Nationalismus geboren, sie ist die Antithese zum
Nationalismus. Wenn Europa auch in seiner Geschichte immer wieder eine
„Schlachtbank“ (Hegel) gewesen ist, ein zerrissener, in Frage gestellter, sich
in Frage stellender Raum, so wurde genau dagegen, gegen seine eigene Geschichte,
der Begriff des Vereinten Europas programmatisch mobilisiert[1].
Vielleicht ist es überhaupt das erste Mal, daß sich ein Kontinent bewusst von
alten, kriegerischen Denkmustern verabschiedet hat, um gänzlich neue,
friedliche Wege zu beschreiten.
Die Entwicklung der
EU
Mit der Gründung
der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1952 benutzte man
ein wirtschaftliches Mittel, um ein politisches Ziel zu
erreichen. (Präambel des Vertrages: Sie haben sich „entschlossen, an die Stelle
der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß ihrer wesentlichen Interessen
zu setzen...“) Das war das Geniale an dem Plan!&xnbsp; Es ging somit um handfeste materielle Interessen, die sich mit
den ideellen Werten verbanden, nach dem Dreiklang: Friede, Handel, Wohlstand.
Dabei war das Unternehmen von vornherein auf Entwicklung, auf Dynamik angelegt,
auf einen zunehmenden Verflechtungsprozess (heißt es doch, etwa in den
Römischen Verträgen: „eine sich immer enger zusammenschließende Union“).
Die weiteren
Entwicklungsstufen der europäischen Integration darf ich als bekannt
voraussetzen: 1957 Vertrag über die Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1958
Schaffung und 1979 Direktwahl des Europäischen Parlaments. 1992 wird der
Vertrag über die Europäische Union (Maastricht) unterzeichnet, er tritt 1993 in
Kraft: damit wird ein neues Gebilde geschaffen, die Gemeinschaft geht in der EU
auf, wir bekommen die Wirtschafts- und Währungsunion. Europa verfügt über eine
politische Dimension.
1997&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp; Unterzeichnung des Vertrags von
Amsterdam, er tritt 1999 in Kraft und bringt eine Revision der institutionellen
Struktur und der Entscheidungsprozesse der EU. In diesem Jahr wird die
Europäische Währungsunion Wirklichkeit. Entgegen vielen früheren Befürchtungen
wird der Euro zu einer allseits anerkannten und weltweit genutzten Währung. Er
bringt Europa mehr Stabilität, weniger Kosten, größere Transparenz und hat auch
das Bewusstsein einer neuen europäischen Gemeinsamkeit gefördert. Schließlich
wurde am 29. Oktober 2004 in Rom der EU-Verfassungsvertrag feierlich
unterzeichnet. Ich werde später noch darauf zurückkommen.
Das Europa von
heute
Die europäische
Integration ist das erfolgreichste politische Großprojekt der jüngeren
Geschichte. Niemand hatte definiert, was unter der immer enger
zusammenwachsenden Union oder unter Europa genau zu verstehen war, aber heute
umfasst die EU fast das gesamte Europa, von Lissabon bis Helsinki und von
Dublin bis Sofia, vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer, von der Nord- und Ostsee
bis ins Mittelmeer. Und es gibt keine Alternative zu Europa!
Die Europäische
Union hat sich sukzessive von einer Wirtschafts- zu einer Währungs- und
schließlich zu einer Rechts- und Wertegemeinschaft entwickelt. Sie kennt
konzentrische Kreise, die nicht deckungsgleich sind: es gibt den Euro-Kreis,
den Schengen-Kreis, den sicherheits- und verteidigungspolitischen Kreis, wir
haben NATO-Mitglieder und solche, die es nicht sind. Wir haben in der EU
Monarchien und Republiken, wir haben Einheitsstaaten und Bundesstaaten, der Staatsaufbau
der europäischen Staaten ist unitarisch, föderalistisch oder regionalistisch,
kurzum auch hier eine unglaubliche Vielfalt[2].
Neben diesen
Unterschieden erleben wir aber auch die Ungleichzeitigkeit der
unterschiedlichen nationalen Entwicklungen und darüber hinaus der
integrativen Entwicklungen der EU. Die EU verbindet das Intergouvernementale
mit dem Supranationalen. Die friedensstiftende Wirkung der europäischen
Integration liegt dabei in der Übertragung nationaler Souveränitätsrechte auf
supranationale Einrichtungen. Die Mitgliedsstaaten müssen aber die eigene
Identität und Unterschiedlichkeit nicht aufgeben. Das heißt, die Europäische
Integration hebt Konflikte nicht auf, gibt ihnen jedoch einen strukturellen
Rahmen, der es erlaubt, über sie zu debattieren und sie zu lösen. Das klingt ja
fast zu schön, um wahr zu sein.
Denn nach
Erreichung des ursprünglichen Friedenszieles fragen sich viele Europäer nach
den neuen Zielen der Europäischen Union, nach dem neuen Telos des bisher
so erfolgreichen Projektes. Wohlstandsmehrung um ihrer selbst willen, weitere
Ausdehnung um ihrer selbst willen, Vertiefung um ihrer selbst willen? Oder
schlicht und einfach Selbstbehauptung in einer globalen und globalisierten
Welt? Und welche Strategie wenden wir hiefür an?
Durch die Ablehnung
des Verfassungsvertrages durch das französische und das niederländische
Volk (und die darauf hin beschlossene Aussetzung des Referendums in
Großbritannien) scheint die&xnbsp; geplante
neue Ordnung des sich integrierenden Europas durch die Bevölkerungen zweier
Gründerstaaten (und vielleicht nicht nur dieser!) nicht akzeptiert zu werden.
Wir stehen vor einem Paradoxon: Die Staaten, die nicht in der Union sind,
klopfen laut an ihrer Tür, aber innerhalb der Union wird die Bevölkerung immer skeptischer
und unzufriedener. Offensichtlich halten die Bürger Europas den Frieden, die
Freiheit und den Wohlstand in Europa für selbstverständlich. Aber was stört sie
eigentlich?
Zunächst muß einmal
festgestellt werden, daß der Verfassungsvertrag keine Verfassung ist. Eine
Verfassung ist die geschriebene Ordnung, die sich ein Volk in freier
Selbstbestimmung gibt. Der EU fehlt dieses europäische Volk, es gibt keinen
einheitlichen Souverän.&xnbsp; Es handelt sich
also um einen völkerrechtlichen Vertrag mit verfassungsähnlichem Inhalt. Für
diesen hat sich das Europäische Parlament am 12. Jänner 2005 mit großer
Mehrheit ausgesprochen. Darüber hinaus haben bereits 18 Mitgliedstaaten (wenn
man Bulgarien und Rumänien dazu zählt) das Vertragswerk ratifiziert.
Der Verfassungsvertrag
schafft keinen europäischen Superstaat, sondern definiert den Aktionsrahmen für
die Europäische Union. Ziel des Vertrages ist die Neuordnung bestehenden
Rechts: die bisherigen europäischen Verträge sollen in einem strukturierten
Text gebündelt werden und damit für größere Transparenz sorgen. Weiters sollen
die Struktur der Organe und die Entscheidungsverfahren verbessert werden, um
die EU handlungsfähiger zu machen. Schließlich soll die Demokratie in der
Europäischen Union als solches gestärkt werden.[3]
Bei aller Bedeutung
des Vertrages und der möglichen Kritik an ihm: er kann wohl nicht der einzige
Grund für die zunehmende Euroskepsis sein. Die vorrangige Frage ist meines
Erachtens nicht, wie der Vertrag gerettet werden kann, sondern vielmehr, wie
sich, angesichts der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der
europäischen Politik, das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union
zurückgewinnen lässt.
Als Gründe für den
Vertrauensverlust werden ein Informations-, bzw. ein Perzeptionsdefizit,
die Exekutivlastigkeit der EU, d.h. die entscheidende Rolle des Rates
bei der Rechtsetzung, sowie ein Demokratiedefizit genannt[4].
Gerade diese Defizite werden aber pikanterweise zumindest zum Teil vom
Verfassungsvertrag angesprochen! Zweifel gibt es aber auch am europäischen Selbstverständnis,
und an der Orientierung der Union in einer globalen Welt.
Lassen Sie mich nun
auf diese Aspekte im einzelnen eingehen:
1. Es stimmt, die
EU ist nicht „sexy“. Das gilt jedenfalls für die Innenperspektive. Das ist ja
schließlich auch nicht ihr Zweck. Sie wird aber, vornehmlich von den Medien,
aber auch von Politikern schlecht geredet. Der Bevölkerung mangelt es an
überzeugender und positiver Information. Daraus ergibt sich ein Perzeptionsdefizit:
man sieht und behält nur das Negative. Das Bemühen um eine verantwortungsvolle,
weitere und notwendige Ausgestaltung der europäischen Integration ist dabei
(noch) nicht ausreichend in das Bewusstsein der Bevölkerung eingedrungen. Das
ist solange nicht überraschend, als Politik nach wie vor nationalstaatlich
verkauft wird, und sich Politiker dem Wähler nur in nationalen Wahlen stellen
müssen. Und hier kommt ein billiger „Schlenkerer“ gegen die EU und Brüssel
allemal gut an!
2. Exekutivlastigkeit:
Zum überwiegenden Teil stehen in der EU Rechtsetzungsbefugnisse nicht den
Legislativ- sondern den Exekutivorganen, sprich dem Rat, d.h. den Vertretern
von Regierungen zu. Es stimmt, daß in einigen Staaten, wie etwa in Österreich
und ähnlich in Deutschland, die nationalen Parlamente sich über die EU-Vorhaben
informieren und die Regierungen an die Stellungnahmen des Parlaments binden,
von denen nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen
abgewichen werden darf (Art.23e B-VG) .&xnbsp;
Aber dies ist nicht durchgehend der Fall. Darüber hinaus gibt es keine europäische
Öffentlichkeit, etwa mit entsprechenden europäischen Massenmedien und
wirksamen, präsenten europäischen Verbänden, die die&xnbsp; Rechtsetzung einer wirksamen Kontrolle unterziehen.
&xnbsp;
3. Das Europäische
Parlament ist keine Volksvertretung, weil es kein europäisches Volk gibt.
Der bekannte spanische Schriftsteller, Politiker und Diplomat Salvador
de Madariaga hat es in seinem Werk&xnbsp;
„Von der Angst zur Freiheit“ bereits 1954 so formuliert:
„Europa ist keine Nation und wird es nie sein. Europa ist eine Traube von
Nationen. Nie wird es uns gelingen, ganz gleich, was wir tun, eine europäische
Wählerschaft zu bilden.“
In der
gegenwärtigen Lage sind parlamentarische Verantwortlichkeit und demokratische
Mitgestaltung im wesentlichen über die nationalen Parlamente und deren
verpflichtende Einbeziehung möglich. Allerdings haben sich Bedeutung und
Einfluß des Europäischen Parlaments mit seinen seit 1979 direkt
gewählten 732 Abgeordneten im Laufe der letzten Jahre dynamisch entwickelt.
Aber wer kennt schon seinen Europäischen Abgeordneten, seinen Vertreter
im Europäischen Parlament? Wem ist dieser oder diese Abgeordnete
verantwortlich? Wer bestimmt ihr Abstimmungsverhalten? Wer informiert sie? Wie
informieren sie sich? Bekanntlich gibt es eine Unmenge von Lobbyisten, die
versuchen, die Abgeordneten auf ihre Weise zu beeinflussen, was natürlich
legitim ist, aber nicht sehr transparent. Es erhebt sich daher die
grundsätzliche Frage nach der Verantwortung des Europäischen Abgeordneten. Dies
ist umso bedeutender, als im Verfassungsvertrag eine beträchtliche Ausweitung
der Rechte des Parlaments vorgesehen ist, sowohl als Haushaltsbehörde, bei der
Wahl des Kommissionspräsidenten als auch bei der Gesetzgebung im Rahmen des
Mitentscheidungsverfahrens.
4. Vergessen werden
sollte auch nicht, daß die einzelnen Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen
Schicksalen und mit verschiedenen Zielsetzungen die Mitgliedschaft angestrebt
und angetreten haben. Daher haben wir ein unterschiedliches europäisches Selbstverständnis:
Am Beginn der Integration stand das politische Ziel der Verunmöglichung
eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich durch die Fusion ihrer
Schlüsselindustrien. Die Aufnahme der südlichen europäischen Staaten diente vor
allem der Stärkung der neuen Demokratien, ebenso die Aufnahmen der
letzten Erweiterung, die die Jahrzehnte lange Auseinandersetzung mit dem Kommunismus
im europäischen Osten erfolgreich beendete. Aber alle neuen Mitgliedstaaten
hatten unterschiedliche Schicksale und haben eine eigene Geschichte hinter
sich und daher unterschiedliche Erwartungen vor sich[5].
Damit bringt jeder Staat seine Tradition und so seine Möglichkeiten in die EU
als politische Union ein. Diese gilt es nun, unter einen Hut zu bringen, ohne sie
aber auszulöschen. Denn die Europäische Einheit besteht in der Vielfalt und in
der Polyphonie, die auch Dissonanzen vertragen und das Recht auf Anderssein
ertragen muß.
Das Europa von
morgen
Meine Damen und
Herren! Wir stehen vor geschichtlichen Umwälzungen von bisher nicht gekannten
Ausmaßen, in denen Europa nur als geeinte Macht zwischen Asien, allen
voran China und Indien, und den USA überleben wird können.
Die dynamischen
Entwicklungen in Asien strahlen auf andere Kontinente aus. Nach Einschätzungen
der Ökonomen der Welthandelsorganisation (WTO) wird China im kommenden Jahr
hinter den USA die zweitgrößte Handelsnation der Welt werden und Deutschland
auf den dritten Platz verdrängen. Heute ist China nach Amerika und Frankreich
etwa bereits der drittgrößte Geschäftspartner Afrikas, dem Kontinent sozusagen
vor unserer Haustür. Auf dem vor einigen Wochen stattgefundenen Afrika-Gipfel
in Peking wurden die afrikanischen Staaten hofiert, China betreibt dort seine
Geschäfte ohne auf die von Europa eingeforderten Standards von Menschenrechten,
Demokratisierung und Korruptionsbekämpfung zu dringen. Auf der Suche nach
Rohstoffen geht es dabei schlicht und einfach um einen wirtschaftlichen
Interessensaustausch, bei dem sich die afrikanischen Saaten zumindest derzeit
nicht bevormundet fühlen.&xnbsp;
Anlaß zur Sorge
bietet aber auch die demographische Entwicklung in Europa, und zwar für
unser zukünftiges Wirtschaftswachstum, für den Erhalt unserer Sozialmodelle,
sowie für die Bedeutung unseres Kontinents im 21. Jahrhundert. Der Oxforder
Historiker Ferguson sagt dies so: „Der drastische Bevölkerungsschwund in Europa
ist die größte langanhaltende Reduzierung der europäischen Bevölkerung seit der
Pest.“ Warum dies so ist, dafür scheint es viele Gründe zu geben. Sicher ist,
daß die gesellschaftlich notwendige Leistung der Erziehung und Familienarbeit
an Stellenwert verloren hat. Daher sind wir einerseits auf Immigration
angewiesen, andrerseits wollen wir diese nur in kontrollierter Form
akzeptieren. In dem Maße, in dem wir aber zunehmend Einwanderungsländer werden,
wird das Nationalbewusstsein der Bürger und damit die Solidaritätsbasis
innerhalb der Staaten abnehmen, was wiederum Auswirkungen auf unser
Sozialmodell nach sich ziehen wird.
Im Umgang mit dem
Islam,&xnbsp; dessen Gläubige zurecht ihren
Platz in der europäischen Gesellschaft fordern, haben wir noch keine Antwort
gefunden. Mafia-Bosse und Drogenhändler machen sich auch bei uns breit. Vor dem
internationalen Terrorismus bleibt Europa genauso wenig verschont wie der Rest
der westlichen Welt. Bei der Befriedung Afghanistans treten wir auf der Stelle,
ganz zu schweigen von den Entwicklungen im Irak. Der Iran entwickelt ein
nukleares Bedrohungspotential, dem wir hilflos gegenüber stehen.&xnbsp; Und Nordkorea nimmt sich ungeniert und
ungestraft dieses Land zum Vorbild. Der Klimawandel tritt nach und nach in
unser konkretes Bewusstsein, nachdem wir offensichtliche Auswirkungen in Europa
selbst feststellen müssen. Aber schnelle Lösungen können wir nicht vorweisen.
Je stärker sich die
Welt multipolar ausrichtet, je weniger das internationale System strukturiert
ist, desto stärker wird die Globalisierung die wirtschaftlichen und
politischen Verhältnisse in der Welt künftig aufmischen. Die Fähigkeit des
Westens, die internationale Agenda zu prägen und die internationale Politik
nachhaltig zu beeinflussen, wird abnehmen. Gerade deswegen stellt aber die&xnbsp; Europäische Union nach wie vor die
politische Antwort auf die neuen Herausforderungen dar. Aber während wir vor 50
Jahren unsere Kräfte nach innen bündeln mussten, müssen wir heute
geschlossen und mit Gestaltungswillen nach außen auftreten. Die Welt
wird jedenfalls nicht auf selbstverliebte, europäische Befindlichkeiten
Rücksicht nehmen. Im Gegenteil, wir müssen Europa für das 21. Jahrhundert fit
machen.
Unser Ziel ist ein
Europa, das als&xnbsp; effizienter und
einflussreicher Player in der Welt wirkt und anerkannt wird. Dazu müssen wir
·
die internen Voraussetzungen schaffen,
·
unsere Kohärenz im Inneren und nach Außen verbessern,
·
Nachbarschaften und Kooperationen pflegen und
·
über Erweiterung und Grenzen ins Reine kommen
1. Wenn wir unser
europäisches Lebens- und Gesellschaftsmodell bewahren wollen, brauchen wir eine
starke und dynamische Wirtschaft. Dazu müssen wir zunächst die wirtschaftlichen
Voraussetzungen in der EU und in den Mitgliedstaaten schaffen bzw.
verbessern. Da wir nicht billiger produzieren können, müssen wir besser und
schneller sein. Das bedeutet einerseits weitere Maßnahmen zur Vollendung des
europäischen Binnenmarktes, aber auch, daß jeder Mitgliedsstaat seine
Hausaufgaben, sprich seine Reformen und Anpassungen machen muß, um für die
Zukunft im globalen Wettbewerb gerüstet zu sein. Dazu gehört vor allem die
Fähigkeit, ein günstiges Innovationsfeld zu schaffen und Innovationen zu
fördern. Denn in diesem Bereich, der immer mehr zum zentralen Faktor für den
Wohlstand in Europa wird, haben wir unsere ehemaligen Führungspositionen
verloren, zuerst an die USA und in letzter Zeit auch an Asien. Aus eben diesem
Grunde müssen wir auch unsere Bildungssysteme anpassen und verbessern.
Gleichzeitig
brauchen wir soziale Perspektiven, wodurch die Menschen die
globalisierte Wirtschaft als positive Chance erkennen können.&xnbsp; Die Bürger in Europa wollen Arbeit, jeder
Arbeitslose ist einer zuviel! &xnbsp;Wir
brauchen Reformen, die das Sozialmodell, um das uns so viele beneiden, zu neuem
Erfolg führen. Nicht zuletzt deshalb war es wichtig, daß wir während der
österr. EU-Ratspräsidentschaft die Frage nach dem „Europäischen Lebensmodell“
gestellt haben.
2. Die
Herausforderungen für den Wohlstand und die Stabilität Europas liegen heute
aber auch jenseits seiner Grenzen. Nur Europa schützt uns. Aus diesem Grunde
ist das Wiederaufleben des Nationalismus geradezu absurd und selbstmörderisch.
Im Gegenteil, die neuen Herausforderungen erfordern neue Integrationsschritte,
unsere innere und äußere Sicherheit hängt heute von einem engen politischen
Zusammenschluß und gemeinsamen, einheitlichen Auftreten ab. Denn Außen- und
Sicherheitspolitik kann heute nicht mehr national betrieben werden. Denken Sie
an die EU-3 Mission im Iran, and die Rolle der EU im Nahen Osten, an das
Engagement der EU am Balkan und in Afrika. Das Gleiche gilt in der
Außenwirtschaftspolitik, wo wir, etwa im Rahmen der WTO bereits mit einer Stimme
sprechen. Es geht darum, im globalen Wettbewerb zu bestehen.
Auch deshalb werden
wir wohl auch zu einer gemeinsamen Energieaußenpolitik finden müssen.
Der Weckruf des 1. Jänner dieses Jahres, als aufgrund der reduzierten
Gaslieferungen Russlands an die Ukraine der Gasdruck in Wien um 30% sank, hat
der europäischen Öffentlichkeit ihre Energieabhängigkeit von Rußland
bewusst gemacht. Russland ist nicht nur weltgrößter Erdgasproduzent und
–exporteur, sondern verfügt auch über die bei weitem größten Reserven. Die
wichtigsten Transportsysteme, die Europa und Asien verbinden, gehen über
russisches Territorium. Die geplante „Nabucco-Pipeline“, die die Gasreserven
der kaspischen Region (u.a. aus dem Iran mit den weltweit zweitgrößten
Gasvorräten) über die Türkei nach Europa führen soll, kann zwar einen gewissen
Beitrag zur Diversifizierung der Importe leisten, ist aber schon in Hinblick
auf den steigenden Bedarf eher ein zusätzlicher Versorgungsstrang. Es
ist daher durchaus zielführend, wenn die Frage der Energiesicherheit einer der
Schwerpunkte der dt. Präsidentschaft sein wird. Entscheidend ist eine auf
beiderseitige Vorteile bedachte Zusammenarbeit mit Russland. Klar ist, daß
einseitige Abhängigkeiten diesem Ziel nicht dienen.
3. Aber auch die militärische
Verteidigung europäischer Werte und Interessen wird und muß in zunehmendem
Maße im europäischen Rahmen erfolgen, heute etwa bereits am Balkan, im Kongo
und im Nahen Osten. Die EU bietet ein internationales Lösungspotential zur
Vorbeugung von Konflikten, zum Management von Krisen und zur Wiederherstellung
von staatlichen Ordnungen.&xnbsp; Dieses
Potential wird international durchaus geschätzt und gesucht. Aber auch das will
vorbereitet, finanziert und umgesetzt werden.
4. Vor unserer
eigenen Haustür müssen wir für Stabilität sorgen und demokratische Reformkräfte
unterstützen. Eine aktive Politik gegenüber&xnbsp;
unseren unmittelbarsten Nachbarn im Südosten Europas war gerade deshalb
auch ein Schwerpunkt der österr. EU-Ratspräsidentschaft. Es ist erfreulich, daß
laut den jüngsten Berichten der Europäischen Kommission in allen westlichen
Balkanländern durchaus Fortschritte bei der Verwirklichung der europäischen
Perspektive zu verzeichnen sind. Der von der EU unterstützten regionalen
Zusammenarbeit kommt dabei für die langfristige Stabilität, wirtschaftliche
Entwicklung und Aussöhnung ganz besondere Bedeutung zu. Österreich&xnbsp; hat immer die Haltung vertreten, daß den
Staaten des Balkans eine Beitritts-Perspektive geboten werden muß, denn sie
gehören zu Europa. Gegenüber unseren weiteren Nachbarn im Süden und im Osten
Europas ist die Entwicklung der sogenannten Europäischen Nachbarschaftspolitik
erforderlich und stellt sicherlich einen Schwerpunkt auch der dt.
Ratspräsidentschaft dar.
5. In einer
globalisierten, multipolaren Welt ist es notwendig, ja überlebenswichtig, die
Zusammenarbeit mit den Staaten zu verstärken, deren Wertesystem dem unseren
entspricht, d.h. vor allen mit den USA. Die USA verzeichnen fast doppelt
so hohe Wachstumsraten als die EU. Trotz Terrorangst, Irak und Afghanistan sind
amerikanisches Selbstverständnis und amerikanischer Selbstbehauptungswille
ungebrochen. Als atlantische Gemeinschaft lassen sich die Turbulenzen der neuen
multipolaren Welt allemal besser aushalten als im europäischen Alleingang.
6. Diese
zielorientierte Strategie der Erhaltung des europäischen Gewichts und der
europäischen Macht in einer globalisierten Welt muß den Überlegungen über die
Zukunft unserer Institutionen zugrunde gelegt werden. Wir brauchen eine
funktionsfähige Europäische Union, darüber sind sich alle einig. Vor allem
deswegen müssen wir die Substanz des Verfassungsvertrages erhalten, der nach
übereinstimmender Auffassung die EU jedenfalls effizienter macht. Rosinenpicken
wird uns nicht zum Ziel bringen, auch nicht das Zerlegen des Vertrages, da er
ein aus vielen Kompromissen geschaffenes Ganzes ist. Etwas Besseres werden wir
auch bestimmt nicht so schnell bekommen, ob wir ihn nun umbenennen (Junker:
„Großer EU-Vertrag“) oder nicht. Etwas Besseres hat auch noch niemand bisher angeboten
und zur Diskussion gestellt. Wie bereits erwähnt, haben ihn 18 Staaten bislang
ratifiziert, darunter auch Österreich nach einer überzeugenden Abstimmung im
Nationalrat mit nur einer Gegenstimme, aber auch etwa Spanien nach einem
Referendum mit 77% Ja-Stimmen. Es wird nicht zuletzt an den Staaten liegen, die
mit der Ratifizierung nicht weitergekommen sind, konstruktive Lösungsvorschläge
zu machen, andernfalls ihnen de facto ein Veto über die Zukunft des Vertrages
zugestanden würde, was ja wohl nicht im Sinne der Erfinder war.
Die EU wird aber
auch mit dem Verfassungsvertrag noch nicht vollendet sein, denn was heißt hier
schon vollendet? Die&xnbsp; Europäisierung,
wie wir sie vorantreiben, ist eine historisch neuartige Realität, die nicht an
der nationalstaatlichen Begriffs-Meßlatte gemessen werden sollte[6].
Wir können davon ausgehen, daß sich sukzessive ein „europäisches Bewusstsein“
entwickeln wird. Jean Monnet schreibt in seinen 1988 erschienenen Memoiren
„Erinnerungen eines Europäers“: „Niemand kann heute sagen, welche Form das
Europa haben wird, in dem wir morgen leben werden, denn der Wandel, der aus dem
Verändern entsteht, ist unvorhersehbar.“
7. Neben dem
Normieren ist aber in der neuen Ordnung Europas auch das Motivieren von
Wichtigkeit. Die EU muß die Aufmerksamkeit der Bürger gewinnen. Der Mensch will
auch im integrierten Europa nicht bloß wissen, was er zu tun hat, sondern auch
warum und wozu! Viele sind nämlich bereit, Leistungen zu erbringen und - um
eines höheren oder zumindest plausibel gemachten Gutes willen! - Opfer auf sich
zu nehmen, wenn sie die Begründung hiezu, nämlich nach dem Wozu auch das Warum
erfahren[7].
Wir entwickeln Europa nicht in den Reden, sondern auch - und vor allem - in den
Köpfen und Herzen der Menschen!
8. Die Seele Europas
ist nämlich nicht im gemeinsamen Markt zu finden. Das immer Mehr muß durch ein
immer Tiefer ergänzt werden, durch eine neue Eintracht der Werte. Ein
sinnentleerter Konsumismus war sicher nicht das Ziel der Beitritte der
europäischen Staaten, die Jahrzehnte unter dem Kommunismus leben mussten.&xnbsp; Um diese geistigen Werte, wird es in
Zukunft&xnbsp; mehr denn je gehen. Schon
Robert Schuman schrieb 1963: „Europa muß, ehe es zur militärischen Allianz oder
zum wirtschaftlichen Bündnis wird, vor allem eine kulturelle Gemeinschaft im
höchsten Sinne des Wortes bilden“. Und dazu gehört die Rechts- und
Wertegemeinschaft, die durch das Gemeinschaftsrecht begründet wird, denn das
Recht ist das einigende Band zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten.
9. Europa „in Vielfalt
geeint“ heißt es in der Präambel zum Verfassungsvertrag. Der Grundwertekatalog
der Verfassung ist das Fundament, das die kulturelle Vielfalt in der
Einheit des größeren Europas gewährleistet. Diese kulturelle Vielfalt gilt es
zu erhalten. Gleichzeitig muß aber mit dem öst. Philosoph Rudolf Burger daran
erinnert werden, daß jede Kultur einen „religiösen Glutkern“ hat, „als dessen
Emanation sie auch als säkularisiert-erkaltete Kultur in wesentlichen Zügen
bestimmt bleibt, in ihrer Ethik und Ästhetik, in ihren Traditionen und in ihrer
Alltagsmoral“[8]. Und dieser
Glutkern kann wieder eruptiv werden, wie wir gerade in den islamischen Staaten
beobachten können. In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob es richtig
war, den unbestreitbaren Hinter-, ja Urgrund der christlich-jüdischen Tradition
für das Erbe Europas in der Präambel des Verfassungsvertrages nicht
ausdrücklich zu erwähnen, sondern nur allgemein auf das „kulturelle, religiöse
und humanistische Erbe Europas“ hinzuweisen und auf jeglichen Gottesbezug zu
verzichten. Schneiden wir uns da nicht selbst die Wurzeln ab, aus denen wir
gewachsen sind? Drei Staatsmänner sind als Baumeister Europas in die Geschichte
eingegangen: der Deutsche Konrad Adenauer aus der Grenzgegend um Köln, der
Italiener Alcide de Gasperi aus dem Grenzgebiet des Trentino, und der Franzose
Robert Schumann aus dem Grenzland Lothringen, geboren und aufgewachsen in
Luxemburg. Sie waren alle drei im christlichen Glauben verwurzelt. Hätten auch
sie den Gottesbezug negiert? Warum genieren wir uns, unsere Wurzeln zu
benennen?
10. Wir müssen aber
auch über die Grenzen der Europäischen Union ins Reine kommen. Es
stimmt, auch die Erweiterung ist eine unbestrittene Erfolgsgeschichte. Sie hat
zur Stabilität in Europa beigetragen und der Union zugleich zu neuer Vitalität
verholfen. Die neuen Mitgliedstaaten sind dynamische Wirtschaften, die der EU
einen gesunden Wachstumsschub gegeben und auch den Wettbewerb innerhalb der EU
erhöht haben. Gerade wir in Österreich haben am meisten davon profitiert. Aber
nicht jeder Staat, der unsere Werte teilt, und der uns auch kulturell nahe
steht, kann Mitglied der Union werden. Sonst könnten ja etwa Kanada, Australien
oder Neuseeland, um nur einige Staaten zu nennen, schon morgen Beitrittsanträge
stellen. Um ein bekanntes Wort der Philosophin Gertrude Stein: „A rose is a
rose is a rose“ abzuwandeln: die Europäische Union ist eine Europäische Union,
ist eine Europäische Union. Eine europäische Perspektive haben daher
ohne Zweifel die Balkanstaaten, sowie etwa die Ukraine und Moldawien.
Vorausgesetzt, sie setzen die erforderlichen Reformschritte, wird man ihnen
einen Beitritt zum gegebenen Zeitpunkt wohl nicht verwehren können. Aber die EU
ist kein Erweiterungsautomat. Und nur die Erfüllung unserer strengen Mitgliedskriterien
ist die Garantie für eine nachhaltige Entwicklung der EU.&xnbsp;
Ein besonderes
Kapitel stellt in diesem Zusammenhang die Türkei dar. Wir haben am 3.
Oktober vergangenen Jahres mit den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
begonnen und diese während der österr. EU-Präsidentschaft nach bestem Wissen
und Gewissen fortgeführt. Allerdings kommt der jüngste, eher ernüchternde
Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zu dem Schluß, daß bei aller
Anerkennung der bisherigen Bemühungen noch „bedeutende weitere Anstrengungen“
des Kandidaten erforderlich sind, weil sich das Tempo der Reformen „im Laufe
des letzten Jahres verlangsamt“ habe. Im einzelnen geht es etwa um die Garantie
der Meinungsfreiheit, den Schutz der Religionsfreiheit (auch den Erwerb von
Grund und Boden durch kirchl. Institutionen), die Rechte der Frauen, der
Gewerkschaften und der Türken kurdischer Abstammung. Erforderlich ist auch die
vollständige und nicht diskriminierende Inkraftsetzung des sogenannten
„Ankara-Protokolls“ über die Ausweitung der Zollunion auf die zehn neuen
EU-Mitgliedsstaaten. Mit der damit verbundenen Öffnung der türkischen Häfen und
Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge aus der Republik Zypern soll auch eine,
zumindest indirekte, Anerkennung eines der Mitgliedstaaten, nämlich Zypern,
durch Ankara erreicht werden.&xnbsp; Es ist ja
schon überraschend, daß ein Staat einer Union beitreten möchte, ohne einen
ihrer Mitgliedsstaaten anerkennen zu wollen! Der Ball ist jedenfalls im türkischen
Feld. Die EK hat angekündigt, diesbezüglich vor dem EU-Gipfel im Dezember der
Staats- und Regierungschefs „einschlägige Empfehlungen“ für das weitere
Vorgehen abgeben zu wollen. BM Plassnik hat kürzlich klar darauf hingewiesen:
„Wenn es bis Dezember keine Bewegung auf türkischer Seite gibt, kann umgekehrt
auch nicht Bewegung von Seiten der EU erwartet werden. Es geht hier letztlich
auch um eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU.“
Die Europäische
Kommission&xnbsp; hat übrigens mit dem
Türkei-Bericht einen Bericht über die Aufnahmefähigkeit der EU vorgelegt,
ein Erfolg österreichischer Beharrlichkeit. Darin hat sie eine Art
„Folgekosten-Rechnung“ für neuralgische Bereiche in den laufenden Verhandlungen
angekündigt, was in Hinblick auf die Größe der Türkei, die in einigen Jahren
Deutschland an Bevölkerung übertreffen wird, von Bedeutung ist. Praktisch alle
Mitgliedstaaten haben überdies angekündigt, das Verhandlungsergebnis einem
Referendum zu unterziehen. Und auch die türkische Bevölkerung selbst wird
natürlich dem Ergebnis zustimmen müssen.
Wir können heute
weder voraussehen, wie sich die Union nach dem Ende der Verhandlungen in zehn
oder 15 Jahren präsentieren wird, noch wie die Stimmung in der Türkei sich
entwickelt und inwieweit sich die aufstrebende Regionalmacht in europäische
Interessen einbinden lassen will. Wichtig erscheint mir aber, daß wir die
Türkei in jedem Fall, ob sie nun neuer Mitgliedsstaat wird oder nicht,
als vollwertigen Partner akzeptieren. Und ein gezieltes und zugleich behutsames
Heranführen der Türkei und ihrer Bevölkerung an europäische Werte und Standards
ist ohne Zweifel im Interesse aller Beteiligten.
Nach der
derzeitigen finnischen EU-Ratspräsidentschaft übernimmt Deutschland im Jänner
sozusagen die EU-Fackel. Ich darf mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich für
die Kooperation unseres großen Nachbarn während unserer Ratspräsidentschaft
bedanken und versichern, daß auch wir verläßliche Partner bei der Umsetzung
unseres gemeinsamen Zieles, nämlich die Weiterentwicklung der Europäischen
Union, sein werden. Nicht zuletzt haben unsere deutschen Freunde über zehn
österreichische Präsidentschafts-Mitarbeiter für die nächsten 6 Monate
engagiert, was schon allein Ausdruck eines tiefen Vertrauens und einer
außerordentlichen Verbundenheit ist.
Im März 2007 feiern
wir in Berlin den 50. Geburtstag der Europäischen Union. Wir haben in der Tat
allen Grund zu feiern. Zur Wahrung und zur Weiterentwicklung des bisher
Erreichten sind weiterhin sowohl Idealismus als auch Realismus notwendig. Die
Menschen müssen erfahren können, daß die EU ihnen einen konkreten Mehrwert
bietet. Die EU ist eine Mission der Vernunft. Das schließt Kreativität und
Visionen nicht aus, ganz im Gegenteil.
Aber vor allem ist Leadership
gefragt, Leadership, die den Menschen Europas aufgrund klarer Prinzipien Hoffnung
macht und Vertrauen schafft. Eigentlich befinden wir uns in einer
privilegierten Situation, in einer begnadeten Zeit, in einer begnadeten Region:
kaum je hatten Menschen vor uns so viel Gestaltungschancen für ein so
umfassendes, positives und friedliches Projekt. Es liegt an uns, diese Chancen
für uns und die nachfolgenden Generationen zu nützen.
Ausgewählte Literatur:
Europäische Union, „Vertrag über eine Verfassung für Europa“, Amt für
amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg, 2005
Fischler Franz / Ortner Christian „Europa – Der Staat, den keiner will“
ecowin Verlag der TopAkademie GmbH, Salzburg, 2006
Herdegen Matthias, „Europarecht“, C.H. Beck’sche Buchhandlung, 2.
Auflage München 1999
Köck Heribert Franz, „Die Grundrechte als Integrationsschranke und die
Rolle der nationalen Gerichte. Eine Anmerkung mit Fragezeichen“, Acta
Universitatis Wratislaviensis, No. 2562, Wroclaw, 2004
Köck Heribert Franz / Marktler Tanja „Der Verfassungsvertrag – Überblick
und Analyse“ in „Eine Verfassung für Europa“ hsg. von Klaus Beckmann, Jürgen
Dieringer und Ulrich Hufeld, 2. Auflage, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen, 2005
Lamers Karl, „Nation – Europa – Zukunft“, Schriftenreihe „Grundfragen
der Christlichen Demokratie“, Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augustin /
Berlin, 2006
Rat der Europäischen Union, „Europa, eine Idee nimmt Gestalt an“, Prepress
and Print works Bari, European Communities, 2006
Schambeck Herbert, „Europa, eine politische, ja mehr noch eine geistige
Einheit“ in L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, 7. Mai
2004, Nummer 17, Seite 11
Schambeck Herbert, Andrássy-Abhandlungen, „Zur Entwicklung der
europäischen Integration – im Miteinander von Österreich und Ungarn – ein
Beitrag auch zu einer Rechts- und Wertegemeinschaft“, Andrássy Universität,
Budapest 2004.
Stern Klaus, Tettinger Peter (Hsgr.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur
Europäischen Grundrechte-Charta, Verlag C.H. Beck München, 2006
Tietmeyer Hans, „Herausforderung EURO“, Carl Hanser Verlag München,
Wien, 2005
Thun-Hohenstein Christoph / Cede Franz, „Europarecht“, Manzsche Verlags-
und Universitätsbuchhandlung, Wien 1995
Weidenfeld Werner, „Die europäische Verfassung verstehen“ Verlag
Bertelmann Stiftung, Gütersloh, 2006
[1] Norber Burger, in „Europa, eine Idee nimmt
Gestalt an“, Rat der Europäischen Union, Prepress and Print works Bari,
European Communities, 2006,&xnbsp; Seite 26
[2] Herbert Schambeck, Andrássy-Abhandlungen, „Zur
Entwicklung der europäischen Integration – im Miteinander von Österreich und
Ungarn – ein Beitrag auch zu einer Rechts- und Wertegemienschaft“, Andrássy
Universität, Budapest 2004.
[3] Werner Weidenfeld, „Die europäische Verfassung
verstehen“, Verlag Bertelmann Stiftung, Gütersloh, 2006, Seite 12 ff.
[4] Herbert Schambeck, „Zur gegenwärtigen Situation
der Europäischen Union aus christlicher Sicht“, in „Europäische Verfassung im
Werden“ (Hrsg. Klaus Stern / Peter J. Tettinger +) , Berliner
Wissenschafts-Verlag GmbH, Berlin 2006, Seite 9 ff.
[5] Herbert Schambeck,, „Zur
gegenwärtigen Situation der Europäischen Union aus christlicher Sicht“, in
„Europäische Verfassung im Werden“ (Hrsg. Klaus Stern / Peter J. Tettinger +) ,
Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH, Berlin 2006, Seite 10 ff.
[6] Ulrich Beck, „Souveränitätsverzicht
als Gewinn,&xnbsp; Europa – eine
kosmopolitische Vision“ in NZZ, 3. Juni 2005, Seite 35
[7] Herbert Schambeck, „Über die akademische und
europäische Verantwortung“, Ansprache vor der Andrássy Universität, 1.
September 2003
[8] Robert Burger, „Kontinentalverschmelzung?“,
in&xnbsp; „Europa, eine Idee nimmt Gestalt
an“, Rat der Europäischen Union, Prepress and Print works Bari, European
Communities, 2006, Seite 30
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Aktualisiert: 31.03.2015
Seite erstellt: 27.03.2007 |